Bundesarchiv

Verzeichnungseinheiten

Hier können Sie sich die Verzeichnungseinheiten, die von diesem Archiv erfasst wurden, auflisten lassen.

Historischer Kontext

Die in Folge der Neuordnung Europas nach dem Ersten Weltkrieg im Deutschen Reich virulente sorbische Frage ließ das sorbische Volk in einem zuvor nicht gekannten Maß zum Objekt hoheitlichen Handelns werden. Behörden des Reiches berichteten über die Lage im sorbischen Siedlungsgebiet, die Reichsregierung und ihre nachgeordneten Stellen erließen Maßnahmen und Politiker und Diplomaten verfassten Memoranden zur Wendenpolitik des Reiches. Parallel dazu institutionalisierten sich völlig neue nicht staatliche Akteure (sorbische Parteien, Interessenverbände der Minderheiten und andere zivilgesellschaftliche Organisationen), mit denen der Staat umgehen musste.  

Die Sorben selber kommen in diesen staatlichen Unterlagen kaum zu Wort, sondern waren Objekt des Staates, der sich – beginnend mit dem Zusammenbruch des preußisch-deutschen Reiches – zunehmend repressiv gegenüber dem sorbischen Volk (wie überhaupt gegenüber nationalen Minderheiten) gerierte.

Diese Situation eskalierte während der NS-Herrschaft und bewirkte noch vor Kriegsausbruch praktisch einen vollständigen Zusammenbruch des öffentlichen sorbischen Kulturlebens. Wenngleich genozidale Absichten der NS-Politik gegenüber dem sorbischen Volk nicht bekannt sind, so sollten doch seine Sprache und Kultur zerstört und vergessen werden.

Das Ende des Krieges und die Befreiung von der NS-Herrschaft brachten für sorbische Menschen die gleiche Not und Bedrückung wie für ihre deutschen Nachbarn. Aber bereits unmittelbar nach Kriegsende erlaubte die sowjetische Besatzungsmacht die Wiedergründung sorbischer Organisationen und setzte auch sorbische Persönlichkeiten in öffentliche Ämter ein. Die DDR verfolgte dann als erster deutscher Staat überhaupt eine Politik der Anerkennung und Förderung sorbischer Belange (1949 bekamen diese sogar Verfassungsrang). Wenngleich deren Effekte heute kontrovers beurteilt werden, ist doch unstrittig, dass der SED-Staat immerhin die vorsätzliche und gezielte Repression der Sorben und ihrer Sprache und Kultur beendete. Allerdings waren sorbische Organisationen oftmals weniger Interessenvertreter des sorbischen Volkes als vielmehr Satellitenorganisationen der SED, deren Aufgabe die Eingliederung der Sorbinnen und Sorben in die DDR-Gesellschaft war. Die überlieferten Unterlagen spiegeln dieses ambivalente Bild der DDR-Sorbenpolitik sehr deutlich – ebenso wie die Repression einzelner sorbischer Persönlichkeiten durch DDR-Behörden

Überlieferungsgeschichte

Das Bundesarchiv (BArch) bewahrt das Archivgut des Bundes, das u.a. bei zentralen Stellen des Deutschen Reiches (1867/71–1945), der Besatzungszonen (1945–1949), der Deutschen Demokratischen Republik (1949–1990) und der Bundesrepublik Deutschland (seit 1949) entstanden ist.

Darüber hinaus nimmt das Bundesarchiv die Aufgaben des zentralen deutschen Filmarchivs wahr und sammelt auch nicht staatliche Überlieferung, wie bspw. Personennachlässe, Unterlagen von Parteien, Verbänden und Vereinen mit überregionaler Bedeutung sowie publizistische Quellen.

Teil des Bundesarchivs ist auch die Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv (SAPMO), die das Archivgut der zentralen Leitungsebenen der Parteien, Gewerkschaften und Massenorganisationen der DDR verwahrt (allerdings ohne die Unterlagen der CDU und der LDPD).

Das Bundesarchiv hat nach der staatlichen Einheit 1990 die Überlieferung des zentralen Staatsapparates der DDR (Ministerien und nachgeordnete Einrichtungen) und seiner Vorläuferbehörden in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) übernommen. Dazu gehören auch die Unterlagen des Parlaments (Volkskammer) sowie der Staatsorgane (u. a. Ministerrat, Präsident, Staatsrat). Ausnahmen bilden das Archivgut des Auswärtigen Amtes des Deutschen Reiches bzw. der Bundesrepublik Deutschland sowie des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten der DDR. Diese werden heute verwahrt im Politischen Archiv des Auswärtigen Amts (siehe den entsprechenden Artikel dazu). Die Unterlagen der DDR-Geheimpolizei (d.h. des Ministeriums für Staatssicherheit) werden vorerst noch durch den Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU) verwahrt. Und ein weiterer Sonderfall ist die Abteilung Sorbenfragen, die in der DDR zwar eine zentrale, dem Innenministerium unterstellte Verwaltung für alle sorbischen Angelegenheiten war, deren Überlieferung jedoch heute vom Sächsischen Staatsarchiv verwahrt wird (siehe den entsprechenden Artikel dazu).

Sorabistische Relevanz

Die im Bundesarchiv überlieferten sorabistisch einschlägigen Unterlagen zerfallen hinsichtlich ihrer epochalen Zuordnung in zwei Teile; Unterlagen aus der Zeit vor dem Zusammenbruch des Deutschen Reiches 1945 und Unterlagen aus der Provenienz des ostdeutschen Teilstaates.

Aus beiden Epochen liegen sorabistisch einschlägige und bedeutende Unterlagen vor. Für die Ära bis zum Zusammenbruch des Deutschen Reiches 1945 sind dieses insbesondere (allerdings nur in geringem Umfang) Unterlagen aus der Provenienz der politischen Führung des Deutschen Reiches („Bestand R 43 Reichskanzlei“) sowie aus dem Bereich der Justiz („Bestände R 3001 Reichsjustizministerium”, „R 3003 Oberreichsanwalt beim Reichsgericht”, „R 3017 Oberreichsanwalt beim Volksgerichtshof”), die eindrücklich über staatliche Repressionsmaßnahmen während der Weimarer Republik sowie insbesondere während der NS-Zeit Auskunft geben.

Umfangreiche und vielfältige sorabistisch einschlägige Unterlagen sind überliefert im Bestand „R 153 Publikationsstelle Berlin-Dahlem“. Diese Einrichtung war ab 1932 Teil des Preußischen Geheimen Staatsarchivs und hatte die unverfängliche Aufgabe, in- und ausländisches Schrifttum zur Landes- und Volksforschung zu beobachten. Tatsächlich hatte die Publikationsstelle eine zentrale Funktion bei den deutsch-polnischen Auseinandersetzungen um territoriale Ansprüche sowie ganz allgemein zur Argumentation bei dezidiert revisionistischen deutschen Forderungen. In diesem Zusammenhang bemühte sich die Publikationsstelle auch, Einfluss auf die sorabistische Forschung zu nehmen und unterstützte die NS-Assimilationspolitik.

Während des Krieges erhielten Politik und Wehrmacht u.a. durch Volkstumsforschungen und die Mitarbeit in den Grenzziehungskommissionen Unterstützung durch die Publikationsstelle. Im Gegenzug führten deren Wissenschaftler einen kulturellen Beutezug in Ost-, aber auch in Westeuropa. Bedeutende geraubte sorbische/sorabistische Bibliotheken und Sammlungen gelangten über die Publikationsstelle in den Besitz der Bautzener Wendenabteilung. 1943 wurde die Publikationsstelle dem Reichssicherheitshauptamt angegliedert und kriegsbedingt kurzzeitig nach Bautzen verlegt, bis sie im Frühjahr 1945 in Coburg den US-Truppen in die Hände fiel. Die Bücherbestände wurden durch die US-Armee konfisziert, ein Teil davon gelangte Anfang der 1960er Jahre in die Bibliothek des Marburger Herder-Instituts. Die erhalten gebliebenen Aktenbestände gelangten 1979 an das Bundesarchiv und bilden dort den o.g. Bestand „R 153 Publikationstelle Berlin-Dahlem“.

Auch unter dem nicht staatlichen Archivgut finden sich im Bundesarchiv sorabistisch einschlägige Unterlagen. Von Interesse sind v.a. Unterlagen der zivilgesellschaftlichen Organisationen (NGO) oder deren verantwortlichen Protagonisten der Zwischenkriegszeit, die besonders im Umfeld des Völkerbundes minderheitenpolitisch engagiert waren und in denen auch sorbische Persönlichkeiten/Organisationen agiert haben. Dieses waren insbesondere:

Weltverband der Ligen für Völkerbund (in der Literatur oftmals bezeichnet als Weltverband der Völkerbundgesellschaften) in Brüssel sowie die Deutsche Liga für Völkerbund. Dieses waren NGO, die sich ab 1918 für die Völkerbund-Idee und die Zusammenarbeit mit ausländischen Partnerorganisationen engagierten. Die Deutsche Liga trat dem Weltverband im Jahr 1921 bei und wurde vom Reichsaußenministerium finanziert; nach der NS-Gleichschaltung 1933 firmierte sie als Deutsche Gesellschaft für Völkerbundsfragen. Die Überlieferung beider Verbände gilt als verloren.

Geschäftsführender Vorsitzender der Deutschen Liga bis 1939 war Otto Junghann (zugleich ab 1925 Vizepräsident des o.g. Weltverbands der Ligen für Völkerbund). Im Bundesarchiv wird der Nachlass Junghanns verwahrt („Bestand N 1038“). Ob es sich dabei um dienstliche oder eher private Unterlagen handelt, ist nicht eindeutig erkennbar, es dominieren Akten die Organisation und Tätigkeit der Liga betreffend sowie auch des Völkerbundes, insbesondere hinsichtlich der Minderheitenfrage. Die Unterlagen sind für die Kontextualisierung der sorbischen Frage im 20. Jahrhundert sowie für Forschungen zur Minderheitenpolitik der Zwischenkriegszeit von hervorragendem Interesse, auch wenn nur wenige Unterlagen die Sorbenfrage per se betreffen wie etwa eine Akte zum Ausscheiden des „Verbandes der nationalen Minderheiten Deutschlands“ aus dem Europäischen Nationalitätenkongress („Nachlass von Otto Junghann N 1038, Nr. 7, Internationale Minderheitenarbeit im Jahre 1939, Bl. 142-155“).

Die europaweit wohl bekannteste NGO der Zwischenkriegszeit war der von 1925 bis 1938 existierende Europäische Nationalitätenkongress (ENP, engl.: Congress of European Nationalities; frz.: Congrès européen de la nationalité), der sich für den Schutz und die völkerrechtliche Anerkennung von (ethnischen) Minderheiten engagierte. Er hatte seinen Sitz in Berlin bzw. ab 1927 in Wien und besaß Beobachterstatus beim Völkerbund in Genf. Auch seine Überlieferung gilt als verloren (siehe dazu auch den Artikel zum Arhiv Republike Slovenije in Ljubljana).

Präsident des Europäischen Nationalitätenkongresses war der aus Triest stammende Rechtsanwalt Josip Wilfan/Vilfan, Generalsekretär der Deutschbalte Ewald Ammende. Aus der Provenienz des ENP-Generalsekretärs Ewald Ammende verwahrt das Bundesarchiv einen Nachlasssplitter aus der Entstehungszeit von 1920 bis 1925 („Bestand N 2005“). Umfangreichere Unterlagen Ammendes soll das Russische Staatliche Militärarchiv in Moskau verwahren, die momentan der historischen Forschung aber nicht zur Verfügung stehen. Der Nachlaß des Josip Wilfan / Vilfan wird heute im Arhiv Republike Slovenije (Slowenisches Nationalarchiv Ljubljana) verwahrt und kann zumindest bedingt als Ersatzüberlieferung für die ENP-Registratur angesehen werden.

Der Verband der nationalen Minderheiten (nicht zu verwechseln mit: Verband der deutschen Minderheiten in Europa [1929-1944 Verband der deutschen Volksgruppen in Europa] als Dachverband der deutschen Minderheiten außerhalb des Deutschen Reiches und Österreichs) war innerhalb des Deutschen Reiches insbesondere wegen seiner Verbandszeitschrift „Kulturwille“ (ab 1926 „Kulturwehr“) des sorbischen Chefredakteurs Jan Skala in Deutschland eine der bekanntesten Interessenvertretungen der nationalen Minderheiten. Der Verband bestand von 1924 bis 1939 und vertrat die nicht deutschen Minderheiten im Deutschen Reich. Ihm gehörten Vertreter der dänischen, polnischen, friesischen, litauischen sowie auch der sorbischen Minderheit an. Letztere waren vertreten durch die Lausitzer Volkspartei/Łužiska ludowa strona (ab 1924 Wendische Volkspartei/Serbska ludowa strona). Die Überlieferung des Verbandes gilt als verloren.

Zu einigen der zeitgenössisch prominentesten sorbischen Protagonisten des Verbandes wie überhaupt zu Vertretern oder Fürsprechern des sorbischen Volkes verwahrt das Bundesarchiv einzelne personenbezogene Unterlagen, u.a. zu Jan Skala, Jan Ziesche sowie zur Familie Bogumił Šwjela. Im Rahmen von Verfolgungsmaßnahmen rechtswidrig entzogene Unterlagen aus dem vormaligen Besitz dieser Personen finden sich darüber hinaus in anderen Beständen, bspw. eine Druckschrift mit einem ex libris „Jan Skala–Berlin-Charlottenburg 5–Lietzensee-Ufer 2“ im Bestand „R 3017 Oberreichsanwalt beim Volksgerichtshof R/3017 Nr. 6245“. Solche Unterlagen illustrieren eindrücklich die nationalsozialistische Sorbenverfolgung.

Aus der DDR sind einschlägige Unterlagen aus der Provenienz des  Ministeriums für Volksbildung („Bestand DR 2“) sowie des Innenministeriums („Bestand DO 1 Abteilung Sorbenfragen/Koordinierungsstelle Sorbenfragen“) überliefert. Der Funktionsnachfolger der letztgenannten Stelle war die Abteilung Sorbenfragen des DDR-Innenministeriums, die ab den 1960er Jahren nicht am Sitz des Ministeriums des Innern in Berlin (Ost), sondern im sorbischen Siedlungsgebiet in Bautzen ihren Dienstsitz hatte und deren Überlieferung daher heute vom Sächsischen Staatsarchiv verwahrt wird (Bestand „12947 Ministerium des Innern der DDR, Abteilung Sorbenfragen“).

Akteure, Interessen und Effekte der DDR-Sorbenpolitik sind noch immer ein Desiderat. Entsprechende Forschungen werden nicht umhinkommen, diese Bestände auszuwerten.