Sprachkonflikte

Der Prozess des Sprachwechsels blieb auch in Lübben nicht frei von Konflikten. Diese traten hauptsächlich anlässlich der Neuberufungen von Diakonen und Küstern an der sorbischen Kirche auf. Insgesamt sind im Zeitraum zwischen 1650 und 1791 im Zusammenhang mit der Besetzung des Pfarr- und Küsteramtes vier konflikthafte Konstellationen nachweisbar, was einem guten Viertel der Besetzungsverfahren entspricht. Zwischen 1672 und 1684 gab es mehrfache Auseinandersetzungen um den sorbischen Küster Samuel Falter. 1693 protestierte die sorbische Gemeinde gegen den sorbischen Prediger Michael Petrinus und 1744/45 gegen den Kandidaten Christian Samuel Bandeco. 1779 wiederum entbrannte ein Streit um den neu zu bestellenden sorbischen Küster Gottfried Peterentz. Konkreter Gegenstand, Akteure, Verlauf und Ergebnis waren dabei jeweils unterschiedlich.1Vgl. detaillierter zu den einzelnen Sprachkonflikten: Mahling, Muttersprache.

Nach dem Tod des Küsters Martin Agricola im Jahr 1672 bewarben sich beim Konsistorium mindestens vier Kandidaten auf dessen Amt: Johann Bobban, Christoph Mewisch, Johann Leander und Samuel Falter (Vgl. Nr. 23).Der (sorbische) Diakon Gottlieb Rudelius bevorzugte Samuel Falter, insbesondere die umliegenden Dörfer jedoch protestierten gegen diesen Kandidaten und favorisierten Johann Leander, wohingegen die Vorstädter sich mit Falter arrangieren wollten. Es gelang schließlich, Einigkeit in der sorbischen Gemeinde herzustellen, sodass „die vorstädte, undt Newgaße wie auch die gemeinten zu Radenß undt Hardensdorf, Groß und Klein Lubolz, Trebendorff, Neundorff und Steinkirche“ gemeinsam Beschwerde einlegten, da sie „das geringeste nicht verstehen“ könnten (Nr. 24). Allerdings blieb der Protest erfolglos und das Konsistorium stellte am 14. Juli 1672 die Vokation für Falter aus.2Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Rep 40C, Nr. 883, fol. 1r–3r.

Der nächste Konflikt um die Sprachkenntnisse eines Bewerbers brach 1693 anlässlich der Diakonatswahl aus. Die Gemeinde lehnte dabei den vom Lübbener Rat favorisierten Kandidaten Michael Petrinus ab, „den er rede 1. gantz weichlich, 2. nicht nach dieser landesarth recht wendisch, 3. wehre ein kränklich mann“ (Nr. 28). Der Protest ging zunächst von „gantze[n] wendische[n] gemeine“ aus. Maßgeblich waren aber wohl die Vertreter aus Steinkirchen, der Neugasse und der Spreevorstadt, nicht aber der Neustadt, die zeitgleich den Anschluss an den Seelsorgebezirk des deutschen Archidiakons forderten (Nr. 27, Nr. 28). Erst nach einem Treffen der Gemeindevertreter mit dem Generalsuperintendenten „hetten sich [diese, Zusatz d. Verf.] nunmeher anders besonnen […] da sie dann endtlich alle zusammen einmütig gesaget haben sollen, daß mitt dem herren Petrino, pfarrern zu Ogrosen, sie zufrieden wehren“ (Nr. 28).

Komplizierter als die beiden Fälle des 17. Jahrhunderts gestaltete sich der Konflikt um die Bestellung Samuel Bandecos 1744/45. Nachdem Christian Ruland im August 1744 verstorben war, bewarben sich zwischen September und November 1744 verschiedene Kandidaten um die vakante Stelle, darunter Samuel Bandeco, gebürtig aus Lebusa, ab 1739 Diakon in Friedland. Bereits vor der Anhörung aller Kandidaten, kurz nach Bandecos Gastpredigt, stimmte der Lübbener Rat für die Wahl Bandecos. Unmittelbar nach der Wahl protestierten Vertreter der sorbischen Gemeinde gegen die Entscheidung. Der Protest war dabei offenbar von den Richtern und Schöppen der eingepfarrten Dörfer organisiert worden „welche alle bey dem hn. postmeister Schneben beysammen gewesen“ (Nr. 33). Im Zentrum der Vorwürfe gegen Bandeco stand seine vollkommene Unkenntnis der sorbischen Sprache: Er sei „unserer wendischen muttersprache dermahle gäntzlich unerfahren, besonders auf deren pronunciation nach unserm intellectu et captu gar nicht mächtig“ (Nr. 32). Während der Befragung einiger der Mitunterzeichner der Beschwerde gegen Bandeco distanzierten sich diese von der zwei Wochen vorher verfassten Schrift. Johann Georg Michaelis aus der Spreevorstadt beispielsweise „setze nichts an ihm [Bandeco, Anm. d. Verf.] aus und habe nicht versucht, ihn zu tadeln“. Auch Peter Lehniger war es, trotz der Unterzeichnung der Petition gegen Bandeco, bereits zwei Wochen später „gleich, ob er her magister Bandeco würde oder nicht“. Dr. Lehmann habe ihn zu sich kommen lassen und wegen einiger Einzelheiten befragt, er wisse aber nicht, wie er zur Unterzeichnung der Schrift gekommen sei (Nr. 33). Gelegenheit für den erneuten Protest der Gemeinde boten die Probepredigt Bandecos und die Befragung der Gemeinde nach Leben, Wandel, aber auch Sprache des Kandidaten durch Johann Gottlieb Hauptmann, Diakon in Lübbenau. Seine Fragen richtete er „an die gemeinde in wendischer sprache durchgehends […], auch in eben derselbigen von denen deputirten der gemeinde ihre antwort erfordert“ (Nr. 34). Daraufhin kam es in und vor der Kirche zu tumultartigen Szenen. Offenbar führte der massive Protest vonseiten der sorbischen Gemeinde zu Bedenken beim Konsistorium, das trotz der für Bandeco bereits ausgestellten Vokation die Berufung eines anderen Kandidaten mit ausreichenden Sorbischkenntnissen anordnete.3Kreisarchiv Landkreis Dahme-Spreewald, A-4 Lübben, Nr. 5872, unpag. zu 1745 Oktober 23. Der Verlauf des Berufungsverfahrens sowie die Entscheidung des Konsistoriums boten im Herbst 1745 unter anderem Johannes Jacobaei die Möglichkeit, sich um das sorbische Diakonat in Lübben zu bewerben.4Vgl. Nr. 36, Nr. 37, Nr. 38, Nr. 39, vgl. auch: Die sorbischen Briefe des Johannes Jacobaei 1745.

Bei der 1779 eingetretenen Vakanz des Küsteramtes favorisierte der (sorbische) Diakon Andreas Gottlieb Fritze den Schreiber der Superintendentur Johann Gottfried Peterentz. Gegen diesen hegte jedoch der Superintendent Friedrich Wilhelm Sartorius zunächst wegen dessen Unkenntnis der sorbischen Sprache Bedenken. Diese zerstreute Fritze durch den Hinweis auf das geringe Interesse der sorbischen Gemeinde an der sorbischen Sprache.5Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Rep 40C, Nr. 883, fol. 238r–240v. Allerdings wandten sich dann doch die Vertreter aus Steinkirchen und Hartmannsdorf gegen den Kandidaten, dem sie „einen mangel der kenntnis der wendischen sprache“ vorwarfen. So habe Peterentz bei der Prüfung nur allein den Glauben, nicht aber das Lied „Allein Gott in der Höh sei Ehr“ sorbisch gesungen. Weitere Kritik wurde gegen Peterentz nicht vorgebracht (Nr. 47). Bei einer Befragung der Gemeindevertreter sei dann ein großer Streit zwischen den beiden Fraktionen der Gemeinde entstanden, bei dem die Steinkircher und Hartmannsdorfer Vertreter der „zänkerey, grobheit und unnützen erinnerungen“ beschuldigt wurden (Nr. 47). Dieser Streit wurde im Beisein des Superintendenten beigelegt. Vom Konsistorium wurde Peterentz anlässlich der Examination „zu fernerer Erlernung der wendischen Sprache“ verpflichtet, „dergestallt, daß er in 3. monathen die evangelien und episteln in der wendischen kirche mit fertigkeit ablesen könne“.6Protokoll des Konsistoriums, 1779 September 22, ebd., fol. 243r. Ohne das Lernergebnis abzuwarten, wurde Peterentz am 22. September 1779 zum Küster voziert und einen Tag später konfirmiert.7Ebd., fol. 245r–246r; ebd., fol. 246r–247r.