Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes Berlin

Verzeichnungseinheiten

Hier können Sie sich die Verzeichnungseinheiten, die von diesem Archiv erfasst wurden, auflisten lassen.

Historischer Kontext

Das Deutsche Reich stand nach dem Friedensschluss von Versailles minderheitenpolitisch vor einer doppelten Herausforderung. Wie bereits zuvor lebten in Deutschland neben den Angehörigen der Titularnation noch zahlreiche Angehörige nicht deutscher nationaler Minderheiten (insbesondere Polen). Und nach 1919 lebten etwa sechs Millionen Deutsche als nationale Minderheit in den neu entstandenen Nationalstaaten in Süd- und Ostmitteleuropa. Während politisch für die deutschen Minderheiten im Ausland das Auswärtige Amt exklusiv zuständig war, beschäftigten sich mit der Frage der im Reich lebenden nicht deutschen Minderheiten neben diversen Reichsinstitutionen auch Länderbehörden. Die in den Ländern Preußen und Sachsen autochthon lebenden Lausitzer Sorben waren Objekt eines besonderen, exkludierenden Politik- und Verwaltungshandelns. Diese Politik wurde auf den Ebenen der regionalen Behörden, der Landesregierungen und auch der Reichsebene konzipiert und exekutiert. Das Außenamt übernahm dabei in der Zwischenkriegszeit zeitweise eine koordinierende Rolle. Unter seiner Leitung begannen bald nach Ende des Ersten Weltkrieges kontinuierliche intergouvernementale und interministerielle Beratungen, bei denen diverse wendenpolitische Maßnahmen besprochen und verabredet wurden. Das Auswärtige Amt hatte diese zuständigkeitshalber außenpolitisch zu flankieren und unterrichtete die Regierung u. a. über vergleichbare Nationalitätenkonflikte in den Nachbarstaaten (insbesondere in der Republik Österreich und in der Tschechoslowakei), sorbisches Leben in anderen Ländern und die Verknüpfung der deutschen Minderheitenpolitik im Inland mit der Frage der Sorge um die deutschen Minderheiten im Ausland. Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme entfiel die Aufgabe Wendenpolitik im Auswärtigen Amt weitgehend. Lediglich akzidentiell wurde die sorbische Minderheit dort noch thematisiert, so bspw. im Rahmen von allerlei ethnologisch-anthropologischen oder biologistischen Forschungsvorhaben (sog. Rassekunde).

Überlieferungsgeschichte

Provenienzstellen sorabistisch relevanter Unterlagen waren im Auswärtigen Amt insbesondere die Länderabteilung II West- und Südosteuropa und die Kulturabteilung (VI). Hier entstanden in Verfolg der Bearbeitung wendenpolitischer Angelegenheiten vielbändige Aktenreihen, die eindrücklich die während der Zwischenkriegszeit andauernde intergouvernemental-interministerielle Kooperation dokumentieren. Außerdem wurden einschlägige Akten bei einigen Sonderreferaten (Völkerbund sowie „Deutschland“) sowie bei einigen wenigen Auslandsvertretungen des Deutschen Reiches (insbesondere Prag) angelegt. Obwohl die Bestände des Politischen Archivs des Auswärtigen Amts (PA AA) zum Schutz vor Luftangriffen ab 1943 ausgelagert wurden, ist die Überlieferung von Kriegsverlusten gezeichnet. Dies betrifft insbesondere sogenannte Geheimakten aus der Zeit der Weimarer Republik sowie Akten der Kulturabteilung. Trotzdem sind im Politischen Archiv zahlreiche und umfangreiche sorabistisch relevante Unterlagen überliefert. Einschlägig ist hier insbesondere die Hauptbestandsgruppe „Reich“ (R), die durchgängig benutzbar und mehrheitlich nach Provenienzstelle, Aktentitel (Betreff) und Laufzeit erschlossen ist.

Sorabistische Relevanz

In den überlieferten Akten des Auswärtigen Amts und seiner nachgeordneten Stellen ist einerseits die intergouvernemental-interministerielle Kooperation der Reichsbehörden insbesondere mit Preußen und Sachsen in Bezug auf die sorbische Minderheit breit dokumentiert. Ob und inwieweit es tatsächlich zur Herausbildung einer konsistenten Wendenpolitik kam, muss die Forschung erst noch herausarbeiten. In jedem Fall geben die Unterlagen – zweitens – Auskunft über die politische Konzeption einer deutschen Minderheitenpolitik durch das Reich. Diese entwickelte sich in Verfolg der sogenannten Erfüllungspolitik und später der von Reichsaußenminister Gustav Stresemann betriebenen Politik einer Verständigung mit Frankreich und Einbindung Deutschlands in die internationale Gemeinschaft. Deutsche Minderheitenpolitik zielte zuerst auf die deutschen Minderheiten in den ost- und südosteuropäischen Nationalstaaten, deren Schicksal aber, wie Stresemann analysiert hatte, mit dem der nicht deutschen Minderheiten (also auch der Sorben) im Reich politisch verknüpft war. Dieser Konnex wird aus den überlieferten Unterlagen klar ersichtlich. Allgemein sind die hier vorgestellten Akten für minderheitenpolitische Fragen eine Quelle ersten Ranges, denn sie geben umfänglich Auskunft über die Minderheitenpolitik des Deutschen Reiches, sowohl gegenüber den nicht deutschen Minderheiten im eigenen Land wie auch in Bezug auf die deutschen Minderheiten außerhalb des Reiches. Die Sachverhalte sind dabei oftmals ähnliche denen der Sorben in Sachsen und Preußen: der Streit um Schule und Unterrichtssprache sowie politische Repräsentanz und Loyalität der Minderheit gegenüber dem Staat der Mehrheit.