Sächsisches Staatsarchiv – Hauptstaatsarchiv Dresden

Verzeichnungseinheiten

Hier können Sie sich die Verzeichnungseinheiten, die von diesem Archiv erfasst wurden, auflisten lassen.

Historischer Kontext

Im Zuge des Prager Friedens von 1635 wurde die albertinische Linie des Hauses Wettin mit den Markgraftümern Ober- und Niederlausitz belehnt worden und damit der überwiegende Teil der in der Lausitz autochthonen Sorben Untertanen des Kurfürsten bzw. später des Königs von Sachsen. Dieser Zustand behielt Gültigkeit bis zum Wiener Kongress, der die Herrschaftsverhältnisse in der Lausitz neu bestimmte. Gemäß dem Friedensvertrag zwischen Preußen und Sachsen vom 18. Mai 1815 verblieb nur ein Teil der Oberlausitz bei dem im Krieg unterlegenen Königreich Sachsen, während das siegreiche Königreich Preußen die Niederlausitz und den Norden und Osten der Oberlausitz erhielt.

Diese Regelung bestand auch nach dem militärischen Zusammenbruch des Deutschen Reiches 1918 unverändert weiter. Der neu gegründete Freistaat Sachsen allerdings stand damals vor einer doppelten Herausforderung: Zum einen schien eine Bedrohung der sächsisch-böhmischen Landes- und Reichsgrenze durch die innenpolitische Entwicklung in der sich gerade erst formierenden Tschechoslowakei möglich und – eng verknüpft damit – bildete sich in der Lausitz eine sorbische Sezessionsbewegung, die ebenfalls den Bestand des Landes zu gefährden schien. Beide Szenarien traten nicht ein, doch die bloße Vorstellung von einer sorbisch legitimierten tschechoslowakischen Intervention in Sachsen prägte die sächsische Innenpolitik während der gesamten Zwischenkriegszeit traumatisch, erzeugte dauerhafte Feindbilder, stand einer konstruktiven Minderheitenpolitik Sachsens im Wege und lieferte schließlich den Nationalsozialisten Anlass und Begründung für eine Diskriminierungspolitik gegenüber den Sorben und eine mörderische Rachepolitik gegenüber prominenten tschechischen Persönlichkeiten. Trotz der demokratisch verfassten Regierungsform wurden die im Freistaat Sachsen autochthon lebenden Lausitzer Sorben von der deutschen Mehrheitsgesellschaft als fremdartige „Wenden“ angesehen und waren Objekt eines besonderen, exkludierenden Politik- und Verwaltungshandelns. Diese Politik wurde auf den Ebenen der regionalen Behörden und der Landesregierung konzipiert und exekutiert. Das Reichsaußenamt sowie andere Reichsbehörden übernahmen dabei in der Zwischenkriegszeit zeitweise eine koordinierende Rolle zwischen Preußen und Sachsen und konzertieren kontinuierliche intergouvernementale und interministerielle Beratungen, bei denen diverse wendenpolitische Maßnahmen besprochen und verabredet wurden. Während Preußen – das Land mit den größten minderheitenpolitischen Herausforderungen im Deutschen Reich – bzgl. der sorbischen Minderheit vergleichsweise gelassen und zurückhaltend agierte, thematisierten sächsische Autoritäten immer wieder die Wendenfrage. Diese beschäftigte die Landespolitik in den 1920er Jahren insbesondere auf dem Gebiet der Schul- und Kulturpolitik sowie – vor der Öffentlichkeit verborgen – als behördliche Maßnahme, die allerorten jegliche sorbische Entwicklung zu restringieren suchte.

Unmittelbar nach der nationalsozialistischen Machtübernahme gerieten auch Exponenten der sorbischen Gemeinschaft vorübergehend in die sog. Schutzhaft, erlitten dort aber keine Torturen wie andere Opfergruppen und wurden bald wieder entlassen. Trotzdem wurde die sorbische Gemeinschaft bis zum Jahr 1941 sukzessiv vollständig ihrer kulturellen Sicherheit beraubt.

Überlieferungsgeschichte

Sorabistisch einschlägige Unterlagen sind innerhalb des Sächsischen Staatsarchivs vor allem in der Abteilung Hauptstaatsarchiv Dresden überliefert, vereinzelt finden sich auch Akten oder Dokumente im Staatsarchiv Leipzig (betreffs den Sonderfall der Überlieferung der regionalen staatlichen sowie der lokalen Lausitzer Behörden siehe den Artikel „Archivverbund Bautzen – Stadt- und Staatsfilialarchiv Bautzen“).  

Das Hauptstaatsarchiv Dresden verwahrt die Überlieferung der Zentralbehörden des Königreichs und des Kurfürstentums Sachsen sowie die Ministerialüberlieferung des Freistaates Sachsen. Einschlägige Unterlagen finden sich insbesondere in den Beständen „10701 Staatskanzlei“, „10736 Ministerium des Innern“, „11125 Ministerium des Kultus und öffentlichen Unterrichts“ sowie „10693 Volkskammer/Landtag des Freistaates Sachsen“. Entsprechende Betreffe in den überlieferten Akten setzen im ausgehenden 19. Jahrhundert ein. Nach dem militärischen Zusammenbruch des Deutschen Reiches am Ende des Ersten Weltkrieges sowie während der gesamten Dauer der Weimarer Republik findet das Thema vielfältig Eingang in die Akten, bei der Sächsischen Staatskanzlei entsteht gar eine ganze Aktenreihe zur Wendenfrage, bis es nach kurzer Konjunktur zu Beginn der NS-Herrschaft in den 1940er Jahren kaum noch dokumentiert wird. 

Sorabistische Relevanz

In den überlieferten Akten der sächsischen Regierung und ihrer nachgeordneten Stellen ist die intergouvernemental-interministerielle Kooperation mit Reichsbehörden und dem Land Preußen in Bezug auf die sorbische Minderheit breit dokumentiert. Ob und inwieweit es tatsächlich zur Herausbildung einer konsistenten Wendenpolitik kam, muss die Forschung allerdings erst noch herausarbeiten. Außerdem beschreiben die Unterlagen eindrücklich die antisorbische Haltung von Politik und Verwaltung im Freistaat Sachsen während der Zwischenkriegszeit. Die zahlreichen und vielfältigen behördlichen Maßnahmen der Restriktion sorbischen Lebens zeigen überdeutlich, dass auf Seite der Titularnation keine Bereitschaft bestand, den Sorben Rechte einer Minderheit einzuräumen und kulturelle Sicherheit zu gewähren.

Inwieweit der Weg zur nationalsozialistischen Unterdrückung der sorbischen Gemeinschaft hier schon vorgezeichnet worden ist, bleibt zu untersuchen. Nach den überlieferten Unterlagen scheint es allerdings, dass die Nationalsozialisten zu keiner Zeit eine ideologisch kohärente Vorstellung über die Sorben hatten und verfolgten.